Tutti fratelli

Martin Mandler – „Kleiner Vogel Glück“

von Frank Becker

Tutti fratelli
 oder
Das Glück ist ein Vogerl
 
Wer je Südtirol, Kärnten oder Slowenien bereist hat, wird sie kennen, die Anti-Kriegsmuseen über den Wahnsinn des Gebirgskrieges 1915–1918 in den Alpen, in dem sich Nachbarn wie die K.u.K.-österreichische Romanfigur Hans und sein walscher Gegenpart Giovanni in die Berge eingraben und auf Befehl der „großkopferten Generäle“ beschießen mußten. Hans wollte ebenso wie Giovanni kein Soldat sein, lieber sein Leben leben und Haus und Hof bestellen und mit dem Nachbarn jenseits der Grenze einen Wein trinken und gut auskommen. Sie sind doch schließlich alle Brüder. Hans ist ein einfacher Mann mit einfacher Sprache, und er kann den Irrsinn nicht begreifen, hadert in tief gehenden Gedanken und Selbstgesprächen mit der ausweglosen Situation. Ein Zitat aus Martin Mandlers Roman „Kleiner Vogel Glück“ unterstreicht das besser als jede Interpretation:
„(…) Im Ringen der Völker. Wie das der Kaiser gesagt hat. Aber gemeint hat er nicht die Völker, denkt der Hans. Weil eigentlich wollen wir Völker uns ja gar nicht ringen. Eigentlich taten wir viel lieber zusammen einen Tanz veranstalten. Und nicht dieses Höllenspektakel. Ich zumindest täte viel lieber einfach hinübergehen zu den Walschen und einen von ihnen fragen, wie hei ihnen die Ernte heuer war. Oh auch er eine Schwester hat, die vielleicht daheim wartet. Und oh er vielleicht eine Zigarette gegen einen Schnaps tauschen würde. Aber da schießen die Eigenen dann ja sofort. Weil das musst du wissen, dass die Großkopferten einen viel größeren Haß auf Deserteure haben als auf die bloß aus vaterländischem Haß heraus bekämpften Gegnerischen.
Die Fahnenflüchtigen und die Selbstverstümmler, die Zitterer und die Simulanten, die würden die glatt zweimal erschießen lassen. Wenn sie nur könnten. Weil sie sich davongestohlen haben aus diesem Ringen des Hauses Habsburg. Denkt der Hans. Und ein bisschen kommt ihm dieses Wort komisch vor. Herrscherhaus. Weil es ja kein Haus ist, das herrscht. Und weil die Macht kein Gebäude ist. Sondern etwas, das man den Menschen verleiht. Kaiser von Gottes Gnaden. Denkt der Hans. Und fragt sich, was denn der gnädige Herrgott mit diesem ungnädigen und unholden alten Mann in Wien zu tun haben soll.“
 
„Kleiner Vogel Glück“ erzählt vom tiefen Wunsch nach Frieden und Menschlichkeit. Eingestreut in den Gesamtkontext erzählt Mandler ein paar kleine Geschichten über die Zu- und Wechselfälle des Lebens. Das Glück ist ein Vogerl, sagt man in Österreich. Es setzt sich wie ein frecher Spatz mal hierhin, mal dorthin. Es kommt unerwartet um die Ecke, aber festhalten kann es niemand.
Hans glaubt an das Glück, auch wenn er ein wenig fahrlässig mit dem Risiko umgeht. Ob und wie er das „Ringen der Völker“ übersteht und was es mit den zwei alten Männern auf sich hat, die sich einmal pro Jahr auf der Hadlhütte still betrinken, erzählt Martin Mandler klug und schon ein wenig verschmitzt in diesem lebensfrohen kleinen Roman.
 
Martin Mandler – „Kleiner Vogel Glück“
Roman
© 2023 Elsinor Verlag, 187 Seiten, Klappenbroschur - ISBN: 9783942788779
19,- €
 
Weitere Informationen: www.elsinor.de